Maria Gräfin von Linden – Ein Leben für die Wissenschaft

Maria von Linden war die erste Titularprofessorin an der Universität Bonn. Sie gehörte zu der Generation von Wissenschaftlerinnen, die sich ihr Recht auf Bildung - trotz ihrer privilegierten Herkunft - noch hart erkämpfen mussten. Aufgrund ihrer herausragenden Begabung und Zielstrebigkeit, aber auch ihres außergewöhnlichen Auftretens, mit dem sie sich zeitlebens gegen konventionelle Rollenzuschreibungen und Geschlechterstereotype auflehnte, zählt sie zu den großen weiblichen Vorbildern und Pionierinnen in der Wissenschaft. Sie hatte Esprit und Humor, war durchsetzungsstark und schlagfertig und in vielem ihrer Zeit voraus, indem sie sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Rechte von Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter einsetzte. 

Eine Wissenschaftlerin und ein Wissenschaftler arbeiten hinter einer Glasfassade und mischen Chemikalien mit Großgeräten.
© Universitätsarchiv Tübingen 724/124 - um 1877/79 Maria von Linden 2.v.l.

Familie und frühe Bildung

Maria Gräfin von Linden wurde am 18. Juli 1869 auf Schloss Burgberg bei Heidenheim an der Schwäbischen Ostalb geboren. Von 1883 bis 1887 lebte sie im Victoria-Pensionat in Karlsruhe, einer „Erziehungs- und Bildungsanstalt für Töchter gebildeter Kreise“ (Erinnerungen 45), und besuchte die angeschlossene Schule. Nachdem sie ihr Physikheft einer Nichte der Vorsteherin gezeigt hatte, die in Zürich studierte, fasste Linden den Entschluss, auch dort am Polytechnikum aufgenommen zu werden und ließ sich von ihrem Bruder zusätzliche Lehrbücher schicken. Durch Vermittlung der Vorsteherin erhielt sie bald private Stunden in Mathematik und Latein.

In der Wissenschaft sah sie früh nicht nur ihre Berufung, sondern ganz klar eine berufliche Perspektive. Auf eine solche war sie angewiesen, denn sie hatte entschieden, nie zu heiraten, und wusste, dass sie sich finanziell von ihren Verwandten unabhängig machen wollte und musste. „Außer der Heimat und außer meinen Eltern gab es nun für mich noch ein Drittes, die Arbeit, um Wissen zu erwerben, vielleicht, um Wissen zu schaffen, und dieses Dritte war so mächtig, so unwiderstehlich, dass ich ihm alles andere zu opfern bereit war" (Erinnerungen 83).

Obgleich sie in der Schweiz ohne Weiteres als Frau hätte studieren können, wollte sie ihr Vorhaben doch – von ihrem Großonkel, einem ehemaligen Minister, bekräftigt – in Württemberg umsetzen. Um Lindens Zulassung zur Abiturprüfung und zum Studium zu erwirken, wählten die beiden einen Umweg: die Anfrage, ob eine Dame promovieren dürfe, wenn die entsprechende Vorbildung und Dissertation vorläge.

Nach Verlassen des Pensionats im Sommer 1887 bereitete sie sich in Korrespondenz mit ihren Karlsruher Professoren in Burgberg auf die Abiturprüfungen vor, die sie an einem Stuttgarter Realgymnasium ablegen wollte – ""'Wahrhaftig ein selten dagewesener Entschluß! ' wie der Rektor kommentierte, als er sich nach anfänglicher Ablehnung bereiterklärte, den „seltenen Fang“ für seine Schule zu machen" (Erinnerungen 100f.). Neben ihrer theoretischen Studien unternahm Linden im Umfeld praktische geologische Exkursionen im Umfeld in Begleitung der Haushälterin: „Stundenweit schleppten wir die schwersten Rucksäcke voll Steine herbei, und jede von uns war mit einem Geologenhammer bewaffnet, der uns gleichzeitig im Bedürfnisfall zur Abwehr dienen konnte.“ (Erinnerungen 85)

Anfänge einer akademischen Laufbahn

Bei einem längeren Aufenthalt bei einer Freundin in Österreich machte Linden die Bekanntschaft verschiedener ortsansässiger Wissenschaftler und trat in die Wiener Anthropologische Gesellschaft ein. Künftig betrieb sie Tausch und Handel mit anderen Mineraliensammler*innen bis nach Sankt Petersburg und veröffentlichte wissenschaftliche Artikel in verschiedenen Fachzeitschriften. Mit diesen kleinen Verdiensten und mit Verwaltungstätigkeiten, die Sie für ihren Vater übernahm, ersparte sie sich Stück um Stück das Geld für ihr künftiges Studium. Im weiteren Verlauf der Vorbereitung griff Linden auf unterschiedliche Mittel zurück, um die Finanzierung zusammenzusparen: den „Verkauf von Heilkräutern an die Apotheke, Erntearbeiten, Verkauf von Briefmarken“ (Erinnerungen 115). Ein wohlhabender Bruder ihres Vaters stellte ihr schließlich einen Zuschuss zur Verfügung. Somit war zumindest das erste Semester gesichert. Nur die Zulassung fehlte noch.

An ihrem 22. Geburtstag bestand sie offiziell die Abiturprüfung.  Mit der vom Großonkel erwirkten Sondergenehmigung des Königs musste nun noch die Tübinger Universität bewegt werden, eine Frau aufzunehmen. Linden ging im „politischen Salon“ bei Frau von Froriep, der Ehefrau des Tübinger Anatomieprofessors ein und aus, und konnte sich dort mit Befürwortern des Frauenstudiums v. a. an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vernetzen. Rektor und Kanzler waren schnell gewonnen; pünktlich zu Beginn des Semesters stimmte auch der Senat zu. So gab es schließlich, wie sie in ihren Erinnerungen festhielt, „[i]n Tübingen […] im Jahre des Heils 1892 an Kultursensationen: einen Gepäckträger, eine Droschke, und, nachdem ich nun glücklich in die Universitätsstadt eingezogen war, auch noch eine Studentin“, letztere im Gegensatz zu den anderen Phänomenen „die erste und einzige im ganzen Königreich“ (Erinnerungen 118). 

Sie zog in eine studentische „Bude“ und war für die Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zugelassen, wo sie Veranstaltungen der Mathematik, Chemie, Physik, Mineralogie und Zoologie besuchte. Ordnungsgemäß immatrikuliert werden konnte sie nicht. Später besuchte sie auch medizinische Veranstaltungen und erkundigte sich in diesem Fach nach Prüfungsmöglichkeiten. Neben dem regulären Vorlesungsbesuch arbeitete sie im Zoologischen Laboratorium unter Theodor Eimer.

Bruch mit Geschlechterstereotypen  

Auch mit den Kommilitonen in den Vorlesungen kam sie gut aus, was sie vor allem auf ihren Humor zurückführt – und auf ihre stete Weigerung, sich als „Dame“ in irgendeiner Form besonders behandeln zu lassen. Dazu trug sicher bei, dass „ich, die ich doch so lange auf meine Bubwerdung gewartet hatte, eben doch stark zur Verkörperung des ‚dritten Geschlechts‘ neigte. Ich trug Jackenkleider mit steifem Kragen, Männerhüte, Schuhe, die in ihrer Massivität, Form und Größe ebenfalls an das männliche grenzten“ und ließ sich von keiner biologischen Diskussion aus der Fassung bringen (Erinnerungen 125). Gerade ihr Mangel an konventioneller Weiblichkeit und ihr offener freundschaftlicher Umgang mit Männern wurden ihr von manchen Feministinnen der Zeit zum Vorwurf gemacht. So schrieb ihre Unterstützerin Mathilde Weber ihr im Privaten, Linden bekräftige quasi die schlimmsten Befürchtungen jener Menschen, die Frauenbildung als (potenzielle) Ursache für den Verlust von Zurückhaltung einerseits und Reizen andererseits sah.

Während des Studiums war ihre finanzielle Lage teils so desolat, dass Professoren ihr die bezahlten Kollegiengelder zurücksandten. Nach dem Tod ihres Vaters musste sie im Zuge von Erbstreitigkeiten auf die Unterstützung durch den Onkel verzichten und finanzierte ihr Studium teils aus eigenen Verdiensten, teils über ein Stipendium des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, das ihr Mathilde Weber vermitteln konnte.

Maria von Linden, Datierung unbek.
© Universitätsarchiv Tübingen
Zoologische Gesellschaft_Giessen_UniTue_mMark.jpg
© Universitätsarchiv Tübingen

Wissenschaftliche Laufbahn

Im Jahr 1895 wurde ihr als erster Frau in Deutschland für ihre Dissertation über „Die Entwicklung der Zeichnung und der Sculptur der Gehäuseschnecken des Meeres“ der Titel „Scientiae Naturalis Doctor“ verliehen. Für ein Semester übernahm Maria von Linden einen Assistentenposten in Vertretung am Zoologischen Institut der Universität Halle/Saale (Winter 1896/97). Anschließend kehrte sie nach Tübingen zurück und arbeitete vom Wintersemester 1897/98 bis zum Juni 1899 am dortigen Zoologischen Institut.

Gleichzeitig mit dem Rückschlag der abgelehnten Habilitation ernannte der Minister Maria von Linden jedoch zur Leiterin (bzw. zum „Abteilungsvorsteher“) der neu entstehenden Parasitologischen Abteilung des Hygienischen Instituts der Universität Bonn. 1910 wurde ihr der Titel „Professor“ verliehen. Das Recht öffentlich zu lehren, die venia legendi, blieb ihr jedoch verweigert.

Erst 1920 wird die Ablehnung eines Habilitationsgesuchs aufgrund des (falschen) Geschlechts in Preußen auf ministerieller Ebene grundsätzlich ausgeschlossen. In der Praxis würden die Universitäten noch lange andere Gründe finden, die als Deckmantel für eine geschlechtsbasierte Diskriminierung dienten. Dennoch hatten sich bereits in den Jahren 1918 bis 1920 drei Wissenschaftlerinnen an preußischen Universitäten habilitiert und die venia legendi erlangt. 

1914 erhielt Linden das Angebot, die Leitung der Bacteriologischen Abteilung des Pathologischen Instituts der Universität Rostock zu übernehmen und sich dort zu habilitieren. Maria von Linden lehnte dieses jedoch ab, um das für und durch sie mittlerweile als eigenständige Anstalt eingerichtete Parasitologische Laboratorium nicht „im Stich zu lassen“ (zitiert in Flecken-Büttner 52). Insgesamt war Linden mehr als 34 Jahre an der Universität Bonn beschäftigt.

Ihre Forschungsschwerpunkte waren neben der Bekämpfung und Erforschung von Parasiten bei Mensch und Tier die Bakteriologie und Chemotherapie bei Infektionskrankheiten, insbesondere der Tuberkulose. Ihre Publikationsliste enthält mehr als einhundert Titel. Für ihre Leistungen wurde sie von der französischen Akademie der Wissenschaften zweimal mit dem DaGama-Machado-Preis ausgezeichnet.

im Bonner Labor um 1912.jpg
© Universitätsarchiv Tübingen S35/1,182 Nr. 2 - Maria von Linden im Bonner Labor, um 1912

Letzte Jahre

Von ca. 1926 bis 1929 verfasste Maria von Linden Erinnerungen an ihre Jugend- und Studienzeit bis zur Promotion, Erlebtes und Erstrebtes eines Sonntagskindes (Veröffentlichung 1991, überarbeite Edition 1998). Diese bezeugen neben ihrer lebenslangen naturwissenschaftlichen Begeisterung und Begabung und ihrem außerordentlichen Lebensweg auch den schlagfertigen Humor und die selbstbewusste, resiliente Persönlichkeit, die ihr, zusammen mit „wirksamer Förderung“ (Flecken-Büttner 46), Türen öffneten und sie Grenzen übertreten ließen, die noch lange nicht zu fallen bereit schienen.

Ihre Ausnahmeposition schränkte ihre Arbeitsmöglichkeiten ebenso ein wie die benachteiligte Stellung ihres Laboratoriums, welches nicht in den Staatshaushalt eingestellt werden konnte. Nur durch Zuschüsse konnten Hilfskräfte finanziert werden. Auch an Platz und Geräten mangelte es durchgängig. Sie bemühte sich erfolglos darum, ihre Abteilung und ihre eigene Stelle als das anerkennen zu lassen, was sie de facto waren: ein Institut bzw. eine Abteilungsvorsteherin, mit Anspruch auf Beamtenstatus. Immer wieder kamen ihr die Bürokratie im Allgemeinen und die selbstverständliche männliche Vorherrschaft im Besonderen in die Quere. Erst ab April 1921 war Linden etatmäßig angestellt, offiziell lediglich als Assistentin des Hygienischen Instituts.

Den Erinnerungen ihres Freundes Wladimir Lindenberg zufolge zeigte sie sich bereits in den 1920ern enttäuscht von den nicht gehaltenen Versprechen der Weimarer Republik, entsetzt über Hitler und seine Anhänger. Im Oktober 1933 wurde sie aufgrund des Gesetzes „Zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zwangspensioniert. Sie wurde als „an allen deutschen Veranstaltungen“ auffallend „uninteressiert“ eingestuft, als wenn auch passive und schwer zu fassende „Gegnerin des heutigen Deutschlands“, die obendrein „Verkehr mit Emigranten“ pflegte (zitiert in Flecken-Büttner 54). Sie verließ Bonn, verkaufte Schloss Burgberg und zog nach Schaan im Fürstentum Liechtenstein, um ihre Krebsforschung im Privatlaboratorium fortzusetzen. Sie starb am 26. August 1936 an einer Lungenentzündung.

Quellen

Susanne Flecken. Maria Gräfin von Linden (1869-1936). In: 100 Jahre Frauenstudium. Frauen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Hg. von A. Kuhn/V. Rothe/B. Mühlenbruch. edition ebersbach. Dortmund 1996.

Susanne Flecken-Büttner. Maria Gräfin von Linden. Erste Titularprofessorin in Bonn. In: Vor Bilder. Wissenschaftlerinnen der Universität Bonn. Historische, soziologische und künstlerische Perspektiven.

Gabriele Junginger. Maria Gräfin von Linden. Eine Wissenschaftlerin ist ihrer Zeit voraus. In: Erinnerungen der ersten Tübinger Studentin.  

Maria Gräfin von Linden. Erinnerungen der ersten Tübinger Studentin. Hrsg. von Gabriele Junginger. Attempto. Tübingen 1991.

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Dr. Martina Pottek

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